April 29, 2021 | Meine Reden, Meine Themen

Meine Rede zum Antrag der Koalition „Ehrenamtliche Geschichtsarbeit im Land Brandenburg stärken und unterstützen“

– Es gilt das gesprochene Wort!
Sehr geehrte Frau Präsidentin,
Liebe Kolleg*innen,
Werte Gäste,

Die Einschränkungen der Corona-Zeit haben dazu geführt, dass Menschen sich mehr mit ihrem direkten Umfeld befasst haben. Zuhause und in ihrer Region spazieren waren, geschichtsträchtige Orte um die Ecke neu entdeckt haben. Daher passt es irgendwie auch in diese Zeit, dass wir heute über die lokale Geschichtsschreibung und -forschung reden. Und auch über die ehrenamtliche Denkmalpflege und Gedenkarbeit, wie etwa der Betreuung der Außenstandorte von Gedenkstätten, die vielerorts noch nicht völlig erschlossen sind.Ohne all die engagierten Menschen würde vieles aus unserem Kulturerbe oder kollektivem Gedächtnis in Vergessenheit geraten, verfallen oder gar nicht erst seinen Weg in die Öffentlichkeit und in die digitale Welt finden.

Wir haben nun schon einiges zum Thema und zum vorliegenden Antrag gehört. Ich will Ihnen an ein paar Beispielen zeigen, was uns ohne die ehrenamtliche Geschichtsarbeit fehlen würde:
In Märkisch Oderland etwa, ganz am Rande des Landes, pflegt der Heimatverein Lebus und der engagierte Ortschronist Manfred Hunger die Erinnerung an das mittelalterliche Bistum Lebus, das heute grenzüberschreitend wäre. Es verbindet unsere Geschichte mit der polnischen und schlägt somit ganz im Sinne der Landesverfassung eine Brücke nach Polen und zur Wojewodschaft Lubuskie.
In Potsdam-Mittelmark, gibt es den kleinen Ort Cammer mit seinem Gutspark, dessen Geschichte man mittlerweile in sechs Büchern von den Ortschronisten Andreas Koska und Herwig Brätz nachlesen kann. Da erklären sie zum Beispiel das „Hirten- oder Herrentuten“. Ein Brauch, bei dem man vor Weihnachten durchs Dorf zieht und mit lautem Getröte dem Christkind den Weg auf die Erde weist. Früher war dieser Brauch im ganzen Fläming und bis nach Berlin hinein verbreitet, heute wird er nur noch in Cammer praktiziert.

Aber ehrenamtliche Geschichtsarbeit gibt es auch an der Schnittstelle zur Wissenschaft. So gibt es in Frankfurt seit 20 Jahren einen Verein, gegründet von Studierenden und Mitarbeitenden der Viadrina, der sich als Mittler zwischen Wissenschaft und Gesellschaft versteht: das Institut für angewandte Geschichte. Stellen Sie sich dabei jetzt aber kein Institut im herkömmlichen Sinne vor, keine ehrwürdige Einrichtung, sondern eine Gruppe umtriebiger kreativer Wissenschaftler*innen, die eine Menge spannende Projekte auf die Beine gestellt haben: zur Geschichte des ehemaligen brandenburgischen Gebiets, das seit 1945 zu Polen gehört, zur NS-Herrschaft, zu Zwangsarbeit oder zur jüdischen Geschichte, die man nur grenzübergreifend verstehen kann, im Dialog mit den polnischen Nachbar*innen.
Oder eins meiner Lieblingsbeispiele: das alte Kino im heutigen Slubice. Als Slubice noch ein Teil von Frankfurt (Oder) war, stand an der Fassade des Kinos wie an vielen Kinos das Wort „Palast“. Nachdem das Kino dann auf polnischem Staatsgebiet lag, wurde daraus mit nur wenigen Änderungen an der Fassade das „Kino Piast“. Die Piasten, eine mittelalterliche Herrscherdynastie in Polen, boten sich geradezu an für die Polonisierung mit wenigen Federstrichen.
In den 2000ern wurde das Kino dann geschlossen. Ironie der Geschichte, dass ausgerecht das K und das I von der Fassade abfielen und so blieb vom ehemaligen Kinopalast, dann Kino Piast am Ende nur noch No Piast übrig. Was machte das Institut für angewandte Geschichte daraus? No Piast – das Festival des verlorenen Kinos. Denn inzwischen steht vom Piast nur noch die denkmalgeschützte Fassade. Der Kinosaal dahinter ist abgerissen und zum Parkplatz geworden. Anhand der lokalen Kinogeschichte kann man die Teilung der Stadt Frankfurt, die Westverschiebung Polens nach dem 2. Weltkrieg und das schrittweise Verschwinden der Grenze nach 1989 erzählen.

Das zeigt noch mal – ehrenamtliche Geschichtsarbeit kann vieles sein: vom Heimatmuseum, über die Ortschronik bis zum Forschungsprojekt, vom Filmfestival, über die Gedenkstätte zum Stadtspaziergang. Ehrenamtliche Geschichtsarbeit zeigt am Beispiel des Mikrokosmos eines Dorfes oder einer Stadt, was Krieg und Frieden, Diktaturen und Demokratie, Unterdrückung und Emanzipation, Zuzüge und Vertreibung im Alltag bedeuteten und wie sie eine Region verändern.
Wir bitten um Zustimmung zu unserem Antrag.

 

(Foto: Ralf Lotys CC BY)

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